Nach den Geschehnissen mit Rouven fasste Kiefer den Entschluss, Miriel zu ihrem Orden zu bringen. Drarko begleitete ihn natürlich, und Toyo sowie Kalael folgten ihnen in etwas größerem Abstand. Sie reisten durch das Gebirge, bis sie nach einem längeren Fußmarsch die Waldgebiete von Arasker erreichten – das Land, aus dem Miriel stammte.
Plötzlich erschraken sie, als sie ein seltsames Geräusch wahrnahmen. Ein Wesen, das sie noch nie zuvor gesehen hatten, stolperte vor sie. Es sah aus wie ein Hybrid aus Mensch und Kuh. Kiefer und Toyo begrüßten es verdutzt.
„Ich heiße Yue. Wisst ihr, wo der Große Baum ist? Er ist ein Gott und kann sprechen. Ich glaube, ich habe mich etwas verlaufen… Und es riecht hier irgendwie ganz anders als in meinem Wald… hmm.“
Yue wirkte etwas verwirrt, aber gleichzeitig sehr aufgekratzt. Sie lief direkt zu Toyo und Kalael.
„Na, wer seid ihr denn? Ihr seht ja nicht gut gelaunt aus. Wollt ihr ein paar Pilze essen?“
Ohne zu zögern, machte sie Anstalten, den beiden Pilze in den Mund zu stopfen.
Kiefer übernahm das Wort: „Wir sind auf dem Weg, unsere Freundin Miriel zu ihrem Orden zu bringen. Wenn du möchtest, kannst du uns begleiten – vielleicht finden wir auf dem Weg den Baum, den du suchst?“
Yue war einverstanden und schloss sich der Gruppe an. Alle waren etwas verdutzt über ihr Erscheinungsbild und ihr Verhalten, doch sie wirkte harmlos und sehr freundlich.
Sie erreichten schließlich den Orden. Ein Adept empfing sie. Als er Miriel sah, versank er sofort in tiefer Trauer. Er geleitete sie zu seinem Oberhaupt, das sie empfing. Die Hohepriesterin bemerkte sofort, dass Kalael unter dem Einfluss des Gottes des Todes stand. Sie berührte ihn an der Stirn – plötzlich fühlte er sich wieder wie er selbst.
„Was habt ihr getan?“, fragte er.
„Ich habe dich vom Einfluss deines Gottes befreit. Doch das wird nicht ewig anhalten – nur so lange, bis ihr eure Aufgabe erfüllt habt.“
Kiefer fragte: „Welche Aufgabe?“
Die Hohepriesterin fuhr fort:
„Miriels Seele hat ihren Weg ins Land des Zwielichts nicht gefunden. Durch die Berührung des Gottes des Todes steckt sie in dessen Welt fest. Ihr müsst ihr den Weg weisen. Kalael kann euch führen.“
Kalael schaute verdutzt. „Okay?“
„Er hat eine Verbindung zum Reich seines Gottes und kann sie zu uns rufen. Ihr müsst ins Land des Zwielichts und sie dorthin geleiten.“
Kiefer sagte: „Wir tun alles.“
Sie wurden zu einem Zeremoniekreis gebracht, wo sie sich in die Mitte setzten. Priester, Adepten und die Hohepriesterin stellten sich im Kreis um sie und begannen einen Singsang. Die Gruppe schloss die Augen – und versank im Dunkel.
Sie öffneten die Augen und fanden sich in einer Welt mit merkwürdigem Schein und seltsamen Farben wieder. Es fühlte sich surreal an. Yue, die bisher einfach mitgegangen war, war begeistert und suchte sofort nach Pilzen. Sie fand welche und packte sie ein.
Kiefer sagte: „Die Hohepriesterin meinte, es gibt nur einen Pfad. Dem sollen wir folgen. Aber wir müssen auf Überraschungen gefasst sein.“
Sie machten sich auf den Weg. Nach kurzer Strecke bemerkten Kiefer und Kalael plötzlich, dass sich unter ihren Füßen etwas bewegte. Kiefer schaffte es gerade noch wegzuspringen, doch Kalael wurde gepackt und nach unten gezogen. Instinktiv schoss er mit einem Feuerpfeil nach unten, konnte sich so befreien, verbrannte sich dabei jedoch an den Füßen.
Yue meinte: „Der Wald scheint auf euch beide zu reagieren. Seid ihr im Streit? Vielleicht sollten wir uns mal zusammensetzen, ein paar Pilze essen und darüber reden.“
Widerwillig setzten sie sich und sprachen über das, was geschehen war. Kiefer erkannte teilweise an, dass es nicht allein Kalaels Schuld war, doch hatte dieser auch nichts über seine Situation preisgegeben. Kalael fühlte sich ebenfalls schuldig, wusste aber selbst nicht, was passiert war. Er verstand die Omen nicht – und auch nicht, dass Miriel sterben würde.
Sie legten ihren Streit fürs Erste bei. Der Wald beruhigte sich und sie konnten weitergehen. Doch es fühlte sich an, als kämen sie nicht voran – alle zehn Meter wiederholte sich alles wie in einer Zeitschleife.
Yue spitzte die Ohren und lauschte in den Wald.
„Ich glaube, wir müssen den Weg in uns finden, statt dem materiellen Pfad zu folgen.“
Drarko: „Sehr hilfreich… Sehr magisch hier.“
Diese Welt schien ihr Innerstes zu spiegeln. Solange innere Konflikte bestanden, kamen sie nicht weiter. Yue schlug vor, sich hinzusetzen, in sich zu gehen und die eigenen Gefühle laut auszusprechen.
Kalael erzählte von allem, was er erlebt hatte, und davon, wie er sich dabei fühlte – dass er Unwohlsein verspürt hatte, es aber nicht ausdrücken konnte. Dass er Angst hatte und sich jetzt deswegen schuldig fühlte.
Auch Kiefer ging in sich. Er erkannte, dass er noch immer sehr wütend war – die schiere Willkür eines Gottes, der entschied, wer lebte und wer starb, machte ihn zornig. Doch die Wut auf Kalael schwand – dieser war selbst eher Opfer als Schuldiger.
Die Welt um sie herum veränderte sich spürbar – sie machten sich weiter auf den Weg. Diesmal kamen sie tatsächlich voran.
Sie trafen auf eine riesige Rüstung, die bewegungslos den Pfad blockierte. Die Gruppe versuchte, sie anzusprechen – keine Reaktion. Yue machte sich unsichtbar, Kiefer und Drarko bereiteten defensive Zauber vor. Kalael ließ einen Funkenregen entstehen – daraufhin reagierte die Rüstung, stützte sich auf ihr Zweihandschwert und sprach:
„Was ist euer Begehr?“
Kalael: „Durchlass!“
Kiefer: „Wir müssen die Seele unserer Freundin ins Reich des Zwielichts geleiten.“
Rüstung: „Warum ist sie nicht hier?“
Yue: „Sie ist im Reich des Gottes des Todes.“
Rüstung: „Was habt ihr mit dem Gott des Todes zu schaffen?“
Yue: „Der da ist sein Herold.“ (Sie zeigte auf Kalael.)
Kalael: „Musst du das rausposaunen? Ich glaub nicht, dass das gut ist in dieser Welt!“
Die Rüstung bewegte sich langsam auf Kalael zu und erhob ihr Schwert. Der Kampf begann.
Nach einem recht harten Gefecht schaffte es die Truppe, die Rüstung zu bezwingen.
Am Ende des Weges erreichten sie einen Schrein.
Kiefer: „Die Hohepriesterin meinte, du weißt, was zu tun ist?“
Kalael: „Naja, nicht wirklich… aber vielleicht erkenne ich ja etwas am Schrein.“
Er untersuchte ihn und entdeckte eine kleine runde Öffnung. Nach kurzem Überlegen steckte er seinen Zauberstab der Ältesten hinein.
Ein merkwürdiges Gefühl durchfuhr ihn – ein Portal öffnete sich. Hindurch schwebte die Seele von Miriel. Alle erstarrten.
Sie schwebte zu Kalael und sagte ihm, dass er keine Schuld trage – es war einfach ihre Zeit gewesen. Dann wandte sie sich an Kiefer, umarmte ihn, sagte, dass es ihr gut gehe und dankte ihm – und verschwand in seiner Umarmung.
– Ende der Sitzung –